UNDOK-Statement: Arbeiten ohne Papiere in der Corona-Krise
Zugänge zu sicheren Arbeitsbedingungen, Gesundheitssystemen und Sozialleistungen für alle, die hier leben und arbeiten!
Statement von UNDOK – Verband zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender
Seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie sind jene Branchen ins Blickfeld gerückt, in denen Menschen besonders häufig un(ter)dokumentiert arbeiten: Tourismus und Gastronomie, die als erste vom Shutdown betroffen waren, der Baubereich, wo auf manchen Baustellen trotz gesundheitsgefährdender Arbeitsbedingungen weiterhin gewerkt wird. Pflegearbeit in Privathaushalten und Erntearbeit in der Landwirtschaft sind als „systemrelevante“ Tätigkeiten sichtbar geworden und wegen ihres akuten Arbeitskräftemangels nun Dauerthema in den Medien.
Diese öffentliche Aufmerksamkeit steht in Widerspruch zu den realen Arbeits- und Entgeltbedingungen der Beschäftigten. Denn die Corona-Krise macht nicht nur deutlich, von wem unsere Gesellschaft am Laufen gehalten wird, sondern auch wie: Unter schlechten Arbeitsbedingungen werden Menschen dazu gezwungen, gesundheitliche Risiken auf sich zu nehmen. Ganz besonders gilt dies für undokumentiert Arbeitende, die ältere Menschen rund um die Uhr pflegen, auf Kinder aufpassen, Pakete austragen, in Restaurants putzen und abwaschen, auf Baustellen arbeiten, Büroräume reinigen oder Spargel ernten.
In Österreich gibt es über 25 verschiedene Aufenthaltstitel, die den Zugang zum Arbeitsmarkt für Nicht-Österreicher*innen regeln. Ohne Zugang zum Arbeitsmarkt und ohne ausreichende Sozialleistungen werden viele Menschen in Arbeitsverhältnisse ohne Papiere gedrängt, um ihr Überleben zu sichern. Wer un(ter)dokumentiert arbeitet, ist u. a. mit ausufernden Arbeitszeiten, Bezahlung weit unter dem Kollektivvertrag, anstrengenden und oft gefährlichen Arbeitsbedingungen, fehlenden Schutzstandards und nicht vorhandenen Versicherungsleistungen konfrontiert. Kolleg*innen, die ohne Papiere arbeiten, sind von ihren Arbeitgeber*innen abhängig, mitunter ausgeliefert. Sie müssen Kontrollen und Anzeigen bei der Fremdenpolizei fürchten. Doch: Arbeitsrechte gelten für alle, unabhängig vom Aufenthaltsstatus.
Arbeiten ohne Papiere wird noch prekärer
In der Corona-Krise ist die Situation un(ter)dokumentiert arbeitender Kolleg*innen noch gefährlicher und prekärer: Sie gehören zu den ersten, die von Kündigungen betroffen sind. Obwohl sie „systemrelevante“ Arbeit leisten, sind sie von Lösungen wie Kurzarbeit, die die Gewerkschaften verhandelt haben, ausgeschlossen. Sie haben weder Zugang zu Arbeitslosengeld noch zu anderen Versicherungsleistungen. Sie können sich meist auch keine Unterstützung von den ohnedies unzureichend eingerichteten Finanzhilfen erwarten, die es für Armutsbetroffene gibt. Auf die Kolleg*innen, die ihre Jobs behalten, steigt in der Krise dagegen der Druck, gefährliche Arbeitsbedingungen und Gesundheitsrisiken hinzunehmen.
Ausgeschlossen aus dem Gesundheitssystem
Un(ter)dokumentiert Arbeitende sind in der Regel nicht krankenversichert und aus dem bestehenden Gesundheitssystem weitgehend ausgeschlossen. Und das, obwohl sie unter gefährlichen Arbeitsbedingungen tätig und während der COVID-19-Pandemie größeren Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind als andere – so können die meisten Kolleg*innen, die ohne Papiere arbeiten, nicht zu Hause bleiben. Arbeitende ohne Papiere haben zudem Angst, dass sie bei der Fremdenpolizei gemeldet werden, wenn sie erkranken und ärztliche Hilfe aufsuchen.
Undokumentiert Arbeitende in und nach der Krise
Gerade in der aktuellen Krisensituation, aber auch darüber hinaus sind un(ter)dokumentiert Arbeitende auf Folgendes angewiesen:
- Voller Arbeitsmarktzugang für Asylwerber*innen
In der Corona-Krise und wann immer es an Arbeitskräften mangelt, wird in bestimmten Branchen darüber diskutiert, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu öffnen. Dabei werden jene, denen dieser Zugang bislang verwehrt wurde, als ökonomisch nutzbare, zeitlich befristete Arbeiter*innenreserve ins Gespräch gebracht.
UNDOK fordert den vollen Arbeitsmarktzugang für alle, die einen Asylantrag gestellt haben – jetzt und nach der Pandemie. Die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung muss einen uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt inkludieren. UNDOK wiederholt die jahrelange Forderung nach Abschaffung des sogenannten Bartenstein-Erlasses, der den Zugang zum Arbeitsmarkt auf Kontingente für Saisonbeschäftigung begrenzt. Asylwerber*innen sollen nach längstens drei Monaten Wartezeit uneingeschränkten Arbeitsmarktzugang haben. Das Ziel muss sein, unabhängig vom Aufenthaltsstatus menschenwürdige Beschäftigungsformen und sichere Arbeitsbedingungen herzustellen. - Zugang zu existenzsichernden Maßnahmen
Für diejenigen, die weiterhin un(ter)dokumentiert arbeiten müssen, braucht es einen unbürokratischen Zugang zu Abfederungsmaßnahmen und Existenzsicherung. Der Zugang zu Härtefallfonds und einer von NGOs geforderten Solidaritätsmilliarde, die in der Corona-Krise eingerichtet werden, muss allen Armutsbetroffenen, die in Österreich leben, offenstehen, unabhängig vom Aufenthaltsstatus. - Gesundheitsversorgung für alle
Die COVID-19-Pandemie macht deutlich, dass es – jetzt und über die Krise hinaus – einen sicheren und niederschwelligen Zugang zum Gesundheits-system braucht, unabhängig von Aufenthaltsstatus und Beschäftigung. Bei medizinischer Versorgung darf der Aufenthaltstitel nicht erhoben werden. Ohne Behandlung auch unversicherter Menschen wird die Eindämmung der Pandemie nicht gelingen. Forderungen hinsichtlich einer inkludierenden Gesundheitsversorgung stellt etwa auch die Initiative #undokumentiertgesund (www.undokumentiertgesund.at/petition). - Gesicherte Wohnverhältnisse schaffen
Die ohnedies prekäre Wohn- und Lebenssituation vieler undokumentiert Arbeitender darf angesichts der aktuellen Entwicklungen nicht noch schlimmer werden. Es braucht daher zusätzliche Wohn- und Aufenthaltsräume für armutsbetroffene und wohnungslose Menschen. Zwangsräumungen müssen ausgesetzt werden, wie das bereits verschiedene Initiativen fordern, beispielsweise die Initiative Sommerpaket (https://sommerpaket.noblogs.org/post/2020/03/18/wie-zuhause-bleiben-wenn-du-kein-zuhause-hast) und BAWO (https://bawo.at/aktuelles). - Evakuierung von Geflüchtetenlagern
Gegen rassistische Politiken und Diskriminierung einzutreten heißt, auch in der Krise gerechtere Migrationspolitiken nicht aus den Augen zu verlieren. Die Heime und Lager hier und an den EU-Außengrenzen müssen evakuiert und sichere Unterbringungsmöglichkeiten für die Geflüchteten geschaffen werden (siehe u. a. www.urgentletter.at).
Die sezonieri-Kampagne für die Rechte der Erntehelfer*innen in Österreich (www.sezonieri.at/uncategorized/corona-krise-unsere-forderungen) fordert Solidarität mit den (zumeist migrantischen) Arbeiter*innen auf den Feldern – und an allen anderen Arbeitsplätzen, ergänzt UNDOK, und schließt sich dieser Forderung an.
Der Zugang zu sicheren Arbeits- und Lebensbedingungen, Existenzsicherung, Gesundheitssystemen und ärztlicher Versorgung darf nicht über Aufenthaltsstatus oder nationale Zugehörigkeiten bestimmt werden, sondern muss alle einschließen, die hier leben und arbeiten!