Nachlese: Neue Wege ins Feld

Die Diskus­si­ons­ver­an­stal­tung von UNDOK und sezo­nieri zur Kampa­gnen-Arbeit deut­scher und öster­rei­chi­scher Gewerk­schaften in der migran­ti­schen Ernte­ar­beit zusammengefasst.

„Der Mindest­lohn wird am Feld nicht einge­halten, wir sehen Lohn­be­trug durch nicht bezahlte Stunden, unzu­läs­sige Über­stunden, und es wird zu viel Geld abge­zogen für Unter­kunft und Verpfle­gung“, skiz­zieren Katha­rina Varel­mann  vom PECO-Institut für nach­hal­tige Entwick­lung in Berlin und Sarah Kuschel von der Indus­trie­ge­werk­schaft IG BAU in Frank­furt die Arbeits­be­din­gungen von Erntearbeiter*innen in Deutsch­land. Kuschel und Varel­mann sind Teil einer Kampagne, die darauf abzielt, im Rahmen von Feld­ak­tionen die Isola­tion der Erntearbeiter*innen aufzu­bre­chen, Unter­stüt­zungs­struk­turen anzu­bieten und Wissen zu vermitteln.

Gesprächs­runde „Neue Wege ins Feld“ im Stand 129 am Viktor-Adler-Markt

Auch in Öster­reich ist das Format Feld­ak­tion nicht neu: Schon seit einigen Jahren fahren Aktivist*innen zusammen mit Gewerkschafter*innen auf Felder, um die vorwie­gend migran­ti­schen Arbeiter*innen über ihre Rechte zu infor­mieren und sie bei deren Durch­set­zung und bei Orga­ni­sa­ti­ons­pro­zessen zu unter­stützen. Die sezo­nieri-Kampagne für die Rechte von Erntearbeiter*innen, eine Koope­ra­tion von Aktivist*innen, NGOs wie UNDOK und der Produk­ti­ons­ge­werk­schaft PRO-GE, bewegt sich damit in gewerk­schaft­li­chem Neuland. In Deutsch­land ist es gelungen, Akteur*innen und Akti­vi­täten zu einer Kampagne und Akti­ons­woche zu bündeln. Katha­rina Varel­mann und Sarah Kuschel haben mit sezo­nieri-Akti­vistin Cordula Fötsch die Erfah­rungen aus ihren Kampa­gnen disku­tiert. Käthe Knittler vom UNDOK-Verband hat die Veran­stal­tung „Neue Wege ins Feld“ im Stand 129 am Wiener Viktor-Adler-Markt moderiert. 

Ausbeu­tung der Erntearbeiter*innen

Kuschel und Varel­mann erzählen weiter über die Ausbeu­tung von Erntearbeiter*innen, um klar­zu­ma­chen, warum es Kampa­gnen wie die Akti­ons­woche oder sezo­nieri braucht: Chefs*Chefinnen verstoßen gegen arbeits­recht­liche und kollek­tiv­ver­trag­liche Rege­lungen, indem sie etwa Geld für Arbeits­mittel verlangen oder keine Schutz­aus­rüs­tung zur Verfü­gung stellen. Mitunter üben sie auch körper­liche Gewalt aus oder behalten Reise­pässe ein, wodurch auch straf­recht­lich rele­vante Fragen wie die des Menschen­han­dels aufge­worfen werden.

Erntearbeiter*innen berichten von schlechtem Essen und kata­stro­phalen Bedin­gungen in den oft isoliert gele­genen Unter­künften. Sezo­nieri-Akti­vistin Cordula Fötsch ergänzt, dass die Arbeiter*innen manchmal gar nicht wissen, bei wem sie ange­stellt oder ob sie über­haupt ange­meldet und versi­chert sind. Auch in der Land­wirt­schaft ist un- bzw. unter­do­ku­men­tierte Arbeit mithin eine großes Thema. Zudem zeigt Fötsch auf, dass Ausbeu­tung in der Erdbeer­ernte ganz andere Formen annehmen kann als am Spar­gel­feld. Auch für Ernte­ar­beit in Öster­reich gilt jeden­falls, dass Arbeiter*innen oft weit unter dem (ohne­dies mick­rigen) Mindest­lohn bezahlt werden. 

Breites Bündnis, sicht­bare Akti­ons­woche, Feld­ak­tionen im Zentrum

Mit der Kampagne „Bundes­weite Akti­ons­wo­chen Saison­ar­beit in der Land­wirt­schaft“ (Bericht als pdf) ist 2018 in Deutsch­land erst­mals in bundes­weit koor­di­nierter Form ein breites und sehr sicht­bares Bündnis auf die Felder gegangen. Im Bündnis vertreten sind Gewerk­schaften und gewerk­schaft­lich ange­bun­dene Bera­tungs­stellen, selbst­or­ga­ni­sierte Initia­tiven wie die Eman­zi­pa­to­ri­sche Landarbeiter*innen-Initiative ELAI oder die Inter­bri­gadas, kirch­liche Initia­tiven und Aktivist*innen.

Im Rahmen der Akti­ons­woche gehen die Aktivist*innen aufs Feld, um mit Erntearbeiter*innen zu reden. Auch sezo­nieri-Akti­vistin Cordula Fötsch unter­streicht die Bedeu­tung der Feld­ak­tionen: „Die Feld­ak­tionen sind zentral, weil die Leute werden nicht zu uns kommen.“ Infor­ma­tion spielt eine Schlüs­sel­rolle, wenn es um Arbeits­kämpfe geht. Hin und wieder kommt es zwar vor, dass die Chefs*Chefinnen die Aktivist*innen auf den Hof lassen, aber vermehrt versperren Secu­ritys den Zugang. Oft sind in der Nähe von Unter­künften Gespräche eher möglich als unmit­telbar am Feld.

„Für uns ist klar, dass die Akti­ons­woche erfolg­reich ist“, resü­miert Katha­rina Varel­mann. „Gleich danach haben sich in den Bera­tungs­stellen rund 250 Kolleg*innen gemeldet – in einem Zeit­raum, in dem wir übli­cher­weise eher 20 bis 30 Anfragen bekommen.“ Sarah Kuschel wertet die Akti­ons­woche eben­falls als Erfolg: „Wir haben von vielen Fällen erfahren, in denen Arbeiter_innen Lohn einge­for­dert haben, in denen sich Arbeiter*innen orga­ni­siert haben, und wir haben von selbst­or­ga­ni­sierten Arbeits­nie­der­le­gungen gehört.“

Außerdem: „Wir haben es geschafft, inner­halb der Insti­tu­tionen erfolg­reich Lobby­ar­beit zu machen – Gewerk­schaften aner­kennen, dass das Thema und die Ziel­gruppen wichtig sind.“ Anfäng­lich wären die Reak­tionen eher zurück­hal­tend gewesen, begründet mit der fehlenden Orga­ni­sie­rung der Arbeiter*innen und der Einschät­zung, dass sich diese wohl auch nicht orga­ni­sieren lassen würden. Trotzdem war das Thema inner­halb der Gewerk­schaft nicht neu. Die Gewerk­schaft hat sich nicht nur soli­da­risch erklärt. Viel­mehr hat sie auch selbst Inter­esse daran, sich einzu­bringen, denn was Erntearbeiter*innen verdienen, beein­flusst das Lohn­ni­veau auch in anderen Bran­chen, sagt Kuschel.

Länger­fris­tige Bezie­hungen statt punk­tu­elle Beratung

Die Kampagne geht weiter, so viel ist klar. Was es braucht, ist länder­über­grei­fenden Austausch mit anderen Unter­stüt­zungs­struk­turen. Wesent­lich ist auch eine bessere Finan­zie­rung für die Bera­tungs­stellen. Die Bera­tung ist über­haupt ein zentraler Punkt in der Kampagne: Berater*innen brau­chen die Fähig­keiten und Möglich­keiten, Erntearbeiter*innen nicht nur punk­tuell und in recht­li­chen Fragen zu beraten, sondern auf länger­fris­tige Bezie­hungen hinzu­ar­beiten und auch Orga­ni­sie­rung zu unter­stützen. „Ein Ziel ist, dass wir länger­fris­tigen Kontakt aufbauen, sodass die Leute sich im nächsten Jahr schon vor Saison­be­ginn melden und ihre Verträge checken lassen, und dass wir gemeinsam mit ihnen Veran­stal­tungen orga­ni­sieren“, sagt Sarah Kuschel.

Eine Heraus­for­de­rung ist es laut Kuschel und Varel­mann mitunter, die ganz­jährig beschäf­tigten oder jede Saison im Betrieb tätigen Arbeiter*innen zu errei­chen. Für sie ist es beson­ders schwierig, sich zu wehren, weil sie im Betrieb weiter­ar­beiten oder im nächsten Jahr wieder­kommen wollen. Und gerade in kleinen Betrieben ist unter den ganz­jährig Beschäf­tigten die „Soli­da­rität mit den Arbeitgeber*innen“ oft sehr groß, so Katha­rina Varelmann. 

Orga­ni­sieren gegen die Auswir­kungen euro­päi­scher Agrarpolitiken

Um die Notwen­dig­keit von Orga­ni­sie­rung geht es auch in der Diskus­sion mit den Teilnehmer*innen der Veran­stal­tung: Dass einzelne Arbeiter*innen in einem Betrieb klagen und Recht bekommen, ändert häufig nicht die Praxis dieses Betriebs oder anderer Betriebe, unter dem Mindest­lohn zu zahlen. Einzel­klagen haben also viel weniger Poten­zial als (gewerk­schaft­liche) Orga­ni­sie­rung, Verhält­nisse zu verän­dern. Das Bündnis hat gerade erst damit begonnen, Erfah­rungen mit Orga­ni­sie­rung zu sammeln. Kuschel und Varel­mann sehen, dass die Arbeitgeber*innen auf die Akti­ons­woche reagieren: „Sie rüsten auf. Argu­men­tativ, mit Secu­ritys, doppelten Zäunen, Angst-Machen und Schlecht­reden der Gewerk­schaften.“ Dabei gehe es gar nicht primär darum, einzelne Arbeitgeber*innen an den Pranger zu stellen, betont Fötsch, sondern um das gesamte Agrar­system. Fötsch, Kuschel und Varel­mann sind sich einig: Stra­te­gien der gewerk­schaft­li­chen Orga­ni­sie­rung müssen auf dem Verständnis basieren, dass die Struk­turen der Ausbeu­tung, die auf den Feldern passiert, Auswir­kung derselben euro­päi­schen Agrar­po­li­tiken sind, egal ob in Almería, Südkala­brien, im Burgen­land oder in Niedersachsen.