UNDOK-Statement „Systemerhalter*innen ohne Papiere: Arbeiten in der Corona-Krise“
Der UNDOK-Verband fordert: solidarische Zugänge für alle, die hier leben und arbeiten – während und nach der Covid-19-Pandemie.
Mit der Covid-19-Pandemie haben neue Begriffe Eingang in die öffentliche Debatte gefunden, die benennen, wer in Krisenzeiten für unsere Gesellschaft unverzichtbar ist. So arbeitet in Österreich rund eine Million Menschen – mehrheitlich Frauen – in „systemrelevanten“ Berufen [1]: Sie pflegen, ernten oder liefern Essen, transportieren Pakete, arbeiten am Bau und putzen Büros und Wohnungen.
Immer finden sich unter den „Systemerhalter*innen“ auch undokumentiert Arbeitende, also Menschen, die ohne Arbeits- und/oder Aufenthaltspapiere informell beschäftigt sind. UNDOK, der Verband zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender, zeigt laufend die gravierenden Folgen der Corona-Krise für die Betroffenen auf (siehe etwa das Statement „Arbeiten ohne Papiere in der Corona-Krise“ vom April 2020). Denn: Je prekärer die Menschen vor der Pandemie beschäftigt waren, desto härter treffen sie die Auswirkungen der aktuellen Corona-Situation. Und je unsicherer ihre Arbeits- und Lebensbedingungen sind, desto höher ist für sie das Risiko, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren.
Problembereich Lohnarbeit
Auch über ein Jahr nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie ist die Lage von Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus in Österreich kein Thema. Die verantwortliche Politik klammert Lohnarbeit als Problembereich für Infektionen weitestgehend aus. [2]
Während mit Einschränkungen des Privatlebens die Corona-Krise bewältigt werden soll, müssen viele Menschen weiterhin in die Arbeit fahren, um ihre prekäre Existenz zu sichern. Dies gilt vor allem für undokumentiert arbeitende Kolleg*innen. Oft werden sie von ihren Arbeitgeber*innen nicht über die Ansteckungsrisiken am Arbeitsplatz informiert oder in den jeweiligen Schutzkonzepten der Unternehmen mitgedacht. Und obwohl sie in Berufen tätig sind, die nicht oder nur schwer von zu Hause ausgeführt werden können, werden ihnen weder kostenlose Schutzkleidung noch FFP2-Masken zur Verfügung gestellt.
Ohne Ausweisdokumente und e‑card gibt es für sie keinen niederschwelligen Zugang zu gratis Testungen. Unklar bleibt, ob und wann sich Menschen ohne Papiere impfen lassen können. Insgesamt werden undokumentiert Arbeitende nur ungenügend geschützt bzw. medizinisch versorgt – das Menschenrecht auf Gesundheit und Sicherheit wird somit nicht eingehalten.
Die Not wächst
Die verschärfte Situation für undokumentiert und prekär Beschäftigte spiegelt sich auch in der Beratung der UNDOK-Anlaufstelle wider. Seit März 2020 registrieren wir eine steigende Zahl an Anfragen: Sie kommen von un(ter)dokumentiert arbeitenden Kolleg*innen aus Branchen wie Bau und Transport, vermehrt auch aus dem Pflege- und persönlichen Dienstleistungsbereich. Viele von ihnen haben während der Corona-Krise ihren Job und damit ihre gesamte Existenzgrundlage verloren. Auch Sexarbeiter*innen, derzeit mit einem Berufsverbot belegt, sind seit den Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 akut von Armut bedroht, wie etwa die UNDOK-Mitgliedsorganisation LEFÖ aufzeigt.
Da undokumentiert Arbeitende vielfach keinen Zugang zu Sozial- oder Unterstützungsleistungen haben, erreichen uns viele Fragen zur Existenzsicherung. Zudem hat sich der Kreis der un(ter)dokumentiert Arbeitenden in der Corona-Situation erweitert. Die Beobachtungen aus unserer Beratungspraxis der letzten Monate belegen die zunehmend angespannten Lebens- und Arbeitsbedingungen:
- Un(ter)dokumentiert Arbeitende sind aufgrund der Corona-Krise häufiger von Kündigungen betroffen.
- Die Auswirkungen der Krise bekommen nicht nur Arbeitende in Niedriglohnbranchen, sondern auch jene in hochqualifizierten Berufen zu spüren wie Kolleg*innen mit einer Rot-Weiß-Rot-Karte. Bricht der Job weg, ist auch der Aufenthalt in Österreich gefährdet.
- Auf Baustellen erhalten Kolleg*innen wenig Information zur Corona-Situation, und es gibt keine sicheren Arbeitsbedingungen.
- Vermehrt wenden sich 24-Stunden-Personenbetreuer*innen an uns, die mit Hürden beim Zugang zum Härtefallfonds zu kämpfen haben.
Solidarische Politik ist möglich
Wie eine solidarische Politik in der Corona-Krise aussehen kann, zeigt Portugal, wo letztes Jahr Migrant*innen ohne Papiere und Asylsuchenden volle Aufenthaltsrechte und damit der Zugang zu Sozialleistungen und gesundheitlicher Versorgung gewährt wurden. In Italien wurde eine Legalisierung bzw. Regularisierung zumindest für einen Teil undokumentiert Arbeitender im Land umgesetzt. Dort und in anderen Ländern wurden Maßnahmen getroffen, um undokumentierten Migrant*innen Zugang zu COVID-19-bezogener Gesundheitsversorgung zu ermöglichen, zudem sind sie ausdrücklich in die jeweiligen Impfstrategien einbezogen.
Ideen für eine gesellschaftlich solidarische Gestaltung der Corona-Politiken kommen von der Kampagne #ZeroCovid, die u. a. die Schließung nicht dringend benötigter Bereiche der Wirtschaft und einen solidarischen europäischen Shutdown fordert. Allerdings darf dabei nicht auf prekär und undokumentiert beschäftigte Kolleg*innen vergessen werden, deren Arbeit für die Gesellschaft unverzichtbar ist. Daher sind – neben dem Ausbau der sozialen Gesundheitsinfrastruktur – eine solidarische Finanzierung der Maßnahmen und ein umfassendes Unterstützungspaket für alle notwendig, also etwa auch für Menschen mit niedrigem Einkommen, in beengten Wohnverhältnissen und Wohnungslose.
Gesundheit für alle
UNDOK fordert anonyme und hürdenfreie Testmöglichkeiten für Menschen ohne Papiere in Österreich. Zudem fordert der Verband den Zugang zur Impfung für alle, die hier leben und arbeiten, unabhängig vom Aufenthaltstitel und von einer Krankenversicherung. Damit Betroffene Testungen und Impfungen tatsächlich in Anspruch nehmen können, braucht es nicht nur mehrsprachige und leicht zugängliche Angebote, sondern auch die Sicherheit, keine aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen befürchten zu müssen. Dabei geht es um mehr als Impfpläne und Lockdowns: Behörden und Regierung sind aufgerufen, systemische Barrieren zur medizinischen Grundversorgung für Menschen ohne bzw. mit prekärem Aufenthaltstitel sowie für jene ohne Krankenversicherungsschutz zu beseitigen und so sicherzustellen, dass niemand in der Covid-19-Pandemie zurückgelassen wird.
Wir brauchen einen solidarischen Strategiewechsel in der Pandemiebekämpfung, damit Migrant*innen nicht in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, Armut und Krankheit gedrängt werden. Der UNDOK-Verband bekräftigt daher einmal mehr die Forderung nach einem uneingeschränkten Arbeitsmarktzugang für alle, die einen Asylantrag gestellt haben, nach längstens drei Monaten Wartezeit, einem erleichterten Zugang zum Härtefallfonds und existenzsichernden Sozialleistungen, nach sicheren Wohnverhältnissen für von Armut bedrohte Menschen sowie der Evakuierung von Heimen und Lagern für Geflüchtete. Denn das Ziel kann nicht sein, zur alten „Normalität“ zurückzukehren, wenn die Pandemie überwunden sein wird.
Anmerkungen
[1] Laut Arbeitsklima-Index der AK Oberösterreich, 23.11.2020.
[2] Eine Studie zeigt auch für Österreich ausgeprägte soziale Unterschiede im wahrgenommenen Corona-Infektionsrisiko bei der Arbeit, insbesondere zum Nachteil von Frauen und Migrant*innen.